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Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers durch beiderseitige Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist


27.04.2018

Besprechung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 26.10.2017, Aktenzeichen 6 AZR 158/16.

Der Gesetzgeber hat in § 622 Abs. 2 BGB festgelegt, welche Fristen der Arbeitgeber einzuhalten hat, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigen möchte. Maximal muss der Arbeitgeber bei einer Kündigung des Arbeitnehmers eine Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende einhalten, wenn der Arbeitnehmer 20 Jahre Betriebszugehörigkeit aufweist. Der Arbeitnehmer hingegen kann gemäß § 622 Abs. 1 BGB stets mit einer Frist von 4 Wochen zum 15. oder zum Monatsende kündigen.

Von dieser gesetzlichen Regelung darf jedoch zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Ebenfalls ist es zulässig, dass wenn der Arbeitgeber freiwillig längere Kündigungsfristen zugunsten des Arbeitnehmers vereinbart, von der Regelung des § 622 Abs. 1 BGB abzuweichen, sodass auch den Arbeitnehmer eine längere Kündigungsfrist trifft.

Das Bundesarbeitsgericht hat in der hier besprochenen Entscheidung vom 26.10.2017 unter dem Aktenzeichen 6 AZR 158/16 jedoch entschieden, dass eine vertragliche Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen kann, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.

Der Sachverhalt:

Streitgegenstand des Urteils ist die Wirksamkeit einer Kündigungsfrist von 3 Jahren zum Monatsende, die der beklagte Arbeitnehmer nach einer Eigenkündigung einhalten sollte. Der Beklagte begann sein Arbeitsverhältnis bei dem klagenden Arbeitgeber am 01.12.2009 als Speditionskaufmann. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zunächst 1400 €. Im Jahr 2012 vereinbarten die Parteien eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, die vorsah, dass das Gehalt des Arbeitnehmers auf 2800 € brutto erhöht wurde. Weiterhin enthielt die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag auch folgende Regelungen: “Die gesetzliche Kündigungsfrist verlängert sich für beide Seiten auf 3 Jahre zum Monatsende. … Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, dem Arbeitgeber eine Vertragsstrafe in Höhe von 2 Bruttomonatsgehältern zu bezahlen, wenn er das Arbeitsverhältnis vertragswidrig beendet. Sollte sich die verwirklichte Strafsumme im Einzelfall als unbillig erweisen, ist die durch gerichtliches Urteil zu bestimmen.“

Mit Schreiben vom 27.12.2014 kündigte der Beklagte Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgerecht zum 31.01.2015 (fristgerecht im Sinne der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB). Daraufhin hat der Arbeitgeber Klage erhoben und beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Der Verfahrensgang:

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses stattgegeben und den auf eine Vertragsstrafe gerichteten Leistungsantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision des klagenden Arbeitgebers hatte vor dem 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Die Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts:

Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der ordentlichen Eigenkündigung des Beklagten Arbeitnehmers mit Ablauf des 31.01.2015 ordentlich gemäß § 622 Abs. 1 BGB endete. Grund für die Feststellung war, dass das Bundesarbeitsgericht die vertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ansah.

Das Bundesarbeitsgericht stellte weiter fest, dass bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB (dieser begrenzt die zulässige Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer auf die Länge der durch den Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist) und des § 15 Abs. 4 TzBfG einhält, aber wesentlich länger ist, als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG vorgenommen werden muss, ob die vertraglich verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt.

Denn gemäß Art. 12 Abs. 1 GG hat der Arbeitnehmer das Recht seinen Beruf frei zu wählen, ebenso wie seinen Arbeitsplatz. In einem gewissen Rahmen darf diese Bewegungsfreiheit durch die vertragliche Verlängerung von Kündigungsfristen eingeschränkt werden. Ist die Einschränkung allerdings dermaßen drastisch, dass die Bewegungsfreiheit des Arbeitnehmers nahezu vollständig entfällt, liegt ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vor.

Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts stellte zunächst fest, dass in diesem Fall trotz der beiderseitigen Verlängerung der Kündigungsfrist, eine unausgewogene Gestaltung der Kündigungsfrist vorliege. Aus diesem Grund hatte die Revision keinen Erfolg und die Kündigung des Arbeitnehmers zum 31.01.2015 war wirksam.

Im Einzelfall kann nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB allerdings dann zu verneinen sein, wenn dem Arbeitnehmer an anderer Stelle vertraglich ein Vorteil gewährt wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vor- und Nachteile in einem inneren Zusammenhang stehen, vergleiche Bundesarbeitsgericht vom 23.08.2012, Aktenzeichen 8 AZR 804/11. Der gewährte Vorteil muss das durch die benachteiligende Vertragsbestimmung beeinträchtigte Interesse stärken. Darüber hinaus muss der gewährte Vorteil auch von solchem Gewicht sein, dass er einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung durch die vertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist darstellt. Der vertraglich vereinbarte Nachteil, sowie die gewährten Vorteile sind gegeneinander abzuwägen, vergleiche BAG vom 24.09.2015, Aktenzeichen 2 AZR 347/14.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts wurde der Nachteil des Beklagten, 3 Jahre lang an den Arbeitgeber gebunden zu sein weder durch die damit verbundene Arbeitsplatzgarantie, noch durch die Gehaltserhöhung aufgewogen. Ein Gehalt von 2800 € brutto für einen Speditionskaufmann sei nicht geeignet, die unangemessene Benachteiligung des Beklagten Arbeitnehmers durch die langfristige vertragliche Bindung zu kompensieren. Außerdem stünden dem noch die vereinbarte 45-Stunden-Woche, die Zahl der Speditionsunternehmen im räumlichen Umfeld des klagenden Arbeitgebers und das in § 12 Satz 6 des Arbeitsvertrags vereinbarte Recht des Arbeitgebers, den Beklagten gegen Fortzahlung der Vergütung freizustellen und letztlich der Umstand entgegen, dass die Höhe des Entgelts durch die Zusatzvereinbarung für die Dauer von fast 3 Jahren “eingefroren“ wurde. Der mit der übermäßig langen Kündigungsfrist verfolgte Zweck des Arbeitgebers bestand nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht zuletzt darin, sich das Wissen des Beklagten langfristig zu sichern, ohne ihn an einen Wettbewerber zu verlieren.

Praktische Bedeutung des Urteils:

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2016, Aktenzeichen 5 AZR 258/14 sind formularmäßige Abreden zu den Hauptleistungspflichten regelmäßig gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen. Aus diesem Grund unterliegt beispielsweise eine Beendigungsvereinbarung in einem Aufhebungsvertrag als solche keiner Angemessenheitskontrolle, ebenso wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorgesehene Abfindung.

Die vertraglich vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist in diesem Fall ist dagegen eine kontrollfähige Nebenabrede im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie steht nicht im unmittelbaren Gegenleistungsverhältnis von Arbeit und Entgelt. Daher betrifft sie nicht die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten. Die Verlängerung der Kündigungsfrist regelt lediglich eine im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehende Frage und unterliegt aus diesem Grund als Nebenabrede auch der Inhaltskontrolle auf eine unangemessene Benachteiligung.

In der heutigen Praxis ist es üblich, dass der Arbeitgeber Arbeitsverträge und Zusatzvereinbarungen nicht mit jedem einzelnen Arbeitnehmer aushandelt, sondern diesem einen sogenannten formularmäßigen Vertrag „vorsetzt“ (sogenannte allgemeine Geschäftsbedingungen, kurz AGB). Dem Arbeitnehmer steht es aufgrund der Vertragsfreiheit frei, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen. Im Regelfall werden aber auch Nebenabreden dem Arbeitnehmer Vorteile bringen. Die Abwägung, ob die Vor-oder Nachteile einer solchen formularmäßigen Zusatzvereinbarung oder einer Vereinbarung im Arbeitsvertrag überwiegen, sollte im Zweifelsfall stets von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht vorgenommen werden. Dem Arbeitnehmer ist dringend anzuraten, eine Überprüfung vornehmen zu lassen, bevor er einen solchen Vertrag unterzeichnet. Denn es besteht stets die Gefahr, dass die Vereinbarungen aufgrund von Vorteilen wirksam und damit für den Arbeitnehmer bindend sind, auch wenn mit der Vereinbarung erhebliche Nachteile verbunden sind.

 
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